Eintrag Nr. 5: Vom Multiversum, Passierschein A38 und 5000 Jahre später

In diesem Logbuch-Eintrag untersuche ich die kuriosen Ursprünge der Bürokratie auf der Erde, entstanden durch einen interdimensionalen Formfehler im alten Sumer vor 5000 Jahren. Welche Rolle spielen das Multiversum und der legendäre Passierschein A38? Die Antworten gibt’s hier!

Nachdem ich mich ein wenig auf der Erde eingelebt hatte, unter anderem die örtlichen Möglichkeiten zur Konfliktlösung erfahren und den leckeren Tee dieser wundervollen blauen Kugel probiert hatte, musste ich mich einem wahren Monster entgegenstellen. Ein Monster, das größer, gefräßiger und unbarmherziger kaum sein könnte. Und nein, ich rede nicht vom boljanischen Teemonster – die haben immerhin noch einen guten Teegeschmack. Nein, das Monster, von dem ich rede, ist so angsteinflößend und energieraubend wie kein zweites in der gesamten Galaxie: die Bürokratie.

Ich bin wirklich einiges gewohnt, wenn es um galaktische Bürokratie geht. Auf Qqql reicht ein einziger falsch gesetzter Punkt in Antrag 411-B aus, und schon hast du einen interplanetaren Teehandelskrieg am Hals. Und Rigel IX? Dort musst du nicht nur die Formulare für die Einfuhr von Snickels ausfüllen, sondern auch ein Ritual der Bürokratischen Segnung durch den „Großen Verwalter der Zwischenräume“ durchlaufen. Ich sage euch, das kann dauern – besonders wenn der Verwalter gerade in seiner zehntägigen Meditationsphase ist. Mit einer Tasse Gelassenheitstee ist das alles echt kein Problem. Vielleicht ein wenig Lästig aber man gewöhnt sich dran. Während auf anderen Planeten eine zentrale, meist schlanke Verwaltung die gesamte Zivilisation organisiert, hat die Erde ein unfassbares Netzwerk aus über hunderttausend bürokratischen Strukturen, die teilweise nicht einmal miteinander kommunizieren können. Ein echtes Wunderwerk der Ineffizienz. Aber das kann unmöglich so auf der Erde entstanden sein. Wenn ich eines gelernt habe auf der Erde, dann ist es, dass niemand das System Bürokratie in seiner Gänze versteht und niemand es in dieser Form als nützlich empfindet. Meine Neugier war also geweckt und begann ich zu forschen.

Nach meinen Recherchen existieren auf der Erde unglaubliche 562.142 verschiedene Bürokratieformen. Vom winzigen Gemeindeverwaltungsamt in der Provinz Entenhausen, das sogar für die Genehmigung von Entenquakzeiten zuständig ist, bis zum „Internationalen Komitee zur Verwaltung der Bürokratie an Verwaltungsgrenzen", das nur existiert, um die Verwaltungsprozesse zwischen anderen Verwaltungen zu verwalten. Weiß wirklich jemand auf anhieb, was die Unterschiede zwischen Europarat, Europäischem Rat und Rat der Europäischen Union sind? Nein? Dann bist du damit nicht alleine.

Meine erste persönliche Begegnung mit diesem System war, gelinde gesagt, ernüchternd. Auf Malta gibt es tatsächlich ein Büro für extraterrestrische Angelegenheiten. Voller Hoffnung wandte ich mich an dieses, als ich mich auf der Erde anmelden wollte – nur um ausgelacht und nach Hause geschickt zu werden. Sie hätten mir immerhin ein neues MK VIII Warpfeldkompensatorüberbrückungsmodul mit integrierter Plasmaverdichterfusionseinheit geben können – dann hätte ich auch nach Hause gekonnt. Aber nein, nicht einmal einen höflichen "Sie-müssen-erst-Formular-39/14-a-einreichen"-Hinweis habe ich bekommen!

Je tiefer ich in die Strukturen der irdischen Bürokratie eintauchte, desto absurder wurde es. In China existiert ein Amt für das Management der Regenwürmer. Die USA, nicht zu übertreffen in kreativer Namensgebung, haben ein "Department of Government Efficiency" geschaffen – ein Name, der klingt wie ein bürokratischer Scherzartikel. Was kommt als Nächstes? Wollt ihr noch die Stille bürokratisieren? Wie bitte? Oh, das habt ihr bereits getan? In Finnland gibt es eine Kommission zur Bewahrung der Stille? Ernsthaft? Ob sie auch die Dritte Stille dort verwalten?

Okay, okay. Wir sehen ganz eindeutig: Das System Bürokratie lebt – und es vermehrt sich eigenständig! Ja, richtig gelesen. Das System vermehrt sich tatsächlich von selbst. Ich konnte natürlich nicht einfach stillsitzen, bis ich den Ursprung all dessen gefunden hatte. Komisch nur, dass es auf der Erde kein Komitee, Amt oder Büro gibt, das für die Geschichte der Bürokratie zuständig ist. Vielleicht auch besser so – sonst würde ich wahrscheinlich immer noch dort sitzen und auf die Bestätigung meines Forschungsantrags warten.

Aber ich habe mal wieder sehr tief gegraben, und leider seid ihr Menschen daran nicht allein schuld. So langsam wird mir keiner mehr glauben, wenn ich sage, dass das mal wieder ein kosmisches Ereignis war, oder? Falls mir aber doch noch jemand glaubt, melde dich bitte. Wir könnten dann gemeinsam einen leckeren Tee trinken. Wie ich schon in meinem ersten Blogeintrag sagte: Du musst vor dem silbrigen grünen Ding keine Angst haben. Das ist ganz bestimmt kein klibatischer Gedankenzerstreuer. Ganz sicher nicht.

Die Frage, die sich mir immer deutlicher stellte, war: Wie konnte es so weit kommen? Wie entstand dieses sich selbst vermehrende System? Die Antwort darauf führte mich tiefer in die Geschichte, als ich je erwartet hätte. Die gesamte Bürokratie auf der Erde hat ihren Ursprung vor rund 5000 Jahren. Um genau zu sein: Es war der 7. April 3054 v. Chr., um 14:03 Uhr, als im alten Sumer die erste Verwaltung gegründet wurde. Der Luftdruck betrug exakt 1012 hPa, die Temperatur im Schatten lag bei 28°C und im direkten Sonnenlicht bei 35°C. Ein kräftiger Nordwestwind, auch als Vorbote des ersten Sandsturm-Protokolls B.73 bekannt, fegte durch die Straßen. Das zumindest belegen die Akten TA-S/07 bis TA-S/13, die seitdem mit der Eintragung „Gründungsdokument der Bürokratie" im galaktischen Archiv geführt werden. Ihr fragt euch, wo ich das gefunden habe? Aus irgendeinem Grund steht in meinem Reiseführer zwar nicht, dass ihr alle keine Dinosaurier seid, aber dafür befindet sich im Anhang eine ganze Reihe solcher Archive über alles Mögliche. Wie die da hingekommen sind? Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber sie sind da. Selbst die ersten menschlichen Formulare dieser Ära sind erstaunlich gut erhalten und zeigen deutlich, worum es damals ging:

Ein Antrag auf die Registrierung eines Esels, inklusive vierfacher Bestätigung durch Priester und Schreiber, gefolgt von einer Beschwerde über die Wartezeiten für Tempelspenden. So entstand aus Sand und Sonne das erste bürokratische Monster der Erde – ein Wesen, das fortan nie wieder vollständig aufzuhalten war.

Wie konnte es soweit kommen? Entstand es wirklich auf der Erde? Und was zur Hölle hat der Passierschein A38 damit zu tun? All diese Fragen und noch viele mehr stellte ich mir, während ich in den schier endlosen Akten der galaktischen Chronik blätterte. Die Antwort war wie immer ziemlich beunruhigend und – wie könnte es anders sein – mit einem Formfehler galaktischen und interdimensionalen Ausmaßes verbunden. Es begann in einer fernen Dimension, besser bekannt als Dimension KM-7894-QY.71378, auf einer Welt namens Formula [1]. Ihre Bewohner, hochentwickelte Meister der verwaltenden Verwaltung, nannten sich schlicht und prägnant „Antrag 37b-712". Ja, das ist der Antrag, den man auf ihrer Welt ausfüllen muss, wenn ein neues Leben geboren wird. Ihr findet das seltsam? Dann müsst ihr mal den Antrag sehen, den sie für ihren Tod ausfüllen. Ich glaube fest daran, dass der Antrag selbst dafür verantwortlich ist, dass sie eigentlich unsterblich sind. Solange dieser Antrag nicht korrekt ausgefüllt ist, darf niemand sterben. Und da absolut niemand diesen Antrag wirklich ausfüllen kann, stirbt einfach niemand. Es gibt jedoch Gerüchte, dass Blip, einer der Antrag-37b-712ianer, es beinah geschafft haben soll, aber durch einen Formfehler wurde sein Antrag abgelehnt.

Aber das große Ziel dieser Leute? Die Schöpfung der ultimativen Bürokratie, eines Systems, das sich unaufhörlich selbst reguliert, erweitert und reproduziert – eine bürokratische Hydra, bei der für jedes genehmigte Formular drei neue Anträge erforderlich sind und für jede Ausführung noch eine weitere Ausführung benötigt wird. Es war ein ehrgeiziges Projekt. Ganze Waldplaneten (natürlich erst nach korrektem Antrag) wurden dafür gerodet und zu Papier gemacht, nur um den Antrag für den Antrag dieser ultimativen Bürokratie zu stellen. Aber wie bei jedem großen Experiment gab es … nun ja, sagen wir Probleme.

Irgendwo auf dem Weg, genauer gesagt beim Passierschein A38, geschah der entscheidende Fehler. Ein übereifriger Praktikant – vermutlich mit unzureichender Teepause – füllte das Feld für den Zielort des Experiments nicht korrekt aus. Anstatt die neue bürokratische Lebensform sicher in einer isolierten Testdatenwolke zu halten, landete sie … nun ja, auf der Erde.

»Das ist doch unmöglich!«, protestierte ein hochrangiger Bürokrat der Stufe XIV von Formula angeblich. »Ich habe doch den Kontrollannihilierungsantrags 54-X/07 für transdimensionale Transfers eingereicht!«. Doch in seiner bürokratischen Wut, macht auch er leiden einen kleinen und simplen Formfehler. Anträge sind Anträge und Regeln sind Regeln, und damit war es zu spät. Die Bürokratie landete auf der Erde und ein unschuldiger Sumerer, namens Meskalamdug, fand dieses kleine unschuldige Wesen und zog es mit Anträgen groß. So hatte die Bürokratie Fuß gefasst und begann sich rasend schnell auszubreiten. Was mit einem einfachen Antrag auf Viehhaltung begann, verwandelte sich binnen Jahrhunderten in eine endlose Maschinerie aus Ämtern, Protokollen und Quittungen.

Und jetzt sind wir hier.

Die Erde ist seither das unfreiwillige Versuchslabor für das größte bürokratische Missgeschick des Multiversums. Die Bewohner der Erde selbst scheinen sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben, besonders die Deutschen machten ihrem Schicksal eine Tugend. Sie unterwerfen sich dem System, zahlen Gebühren für Parkgenehmigungen und ringen täglich mit Formularen für Steuererklärungen. Ironischerweise ist die Erde nun genau auf dem Weg dahin, was die Bewohner von Formula anstrebten: eine unaufhörlich wachsende Bürokratie, die niemals ruht.

Jetzt, da ich weiß, dass es dieses Monster gibt, werde ich dieses studieren müssen. Vielleicht gibt es einen Weg, die Kontrolle zurückzuerlangen. Oder zumindest den Passierschein 38a korrekt auszufüllen und den Bürokratiespuk zu beenden. Aber das wird wohl ein weiteres Formular erfordern und dann noch eines und dann noch eines … aber eigentlich sollte ich mich auch gar nicht in Erdangelegenheiten einmischen. Alleine mein Blog ist vermutlich schon ein Verstoß gegen Paragraph 78 Absatz 2 der Interstellaren Verfassung der Föderation freier Planeten. Aber wie sagt man so schön? Wo keine Teekanne, da auch kein Teetrinker.

Aber versteht mich bitte nicht falsch. Bürokratie hat zweifelsohne ihren Nutzen. Wachsende Komplexität einer Zivilisation benötigt ein gewisses Maß an Bürokratie, aber dieses Monster ist nicht darauf aus, irgendetwas zu verwalten, außer sich selbst. Auf meiner Welt gibt es nur ein einziges Amt, das Amt für lokale Teeangelegenheiten. Dort geht es entspannt zu. Da alle Teeangelegenheiten eigentlich geklärt sind, gibt es nicht viel zu tun, außer Tee zu trinken. Aber in Japan hat man es verstanden. Dort gibt es ein schönes Verwaltungssystem: das Büro für die Einhaltung von Tee-Zeremonien. Die Japaner scheinen ganz nach meinem Geschmack zu sein - zumindest was das Teetrinken angeht.

Jetzt, da ich es weiß: Dieses Monster, diese Hydra aus Formularen, Protokollen und Verwaltungssprache, wird nicht so leicht aufzuhalten sein. Ich für meinen Teil werde mich jedenfalls nicht weiter einmischen. Nicht, dass ich am Ende selbst mit Anträgen überhäuft werde. Das Amt für Interstellare Angelegenheiten beäugt mich sowieso schon kritisch, seit ich versehentlich das Formular für das Teetrinken auf einer fremden Welt falsch ausgefüllt und dabei ein schwarzes Teeloch als meinen Wohnsitz angegeben habe. Nein, ich halte mich ab jetzt raus aus den Tentakeln der irdischen Bürokratie.

Aber ich sage euch: Sollte ich je wieder in die Mühlen eurer Ämter geraten, werde ich einfach einen Passierschein A39 mit einem „Antrag auf sofortige Entlassung aus der Realität“ aus dem Rundschreiben B65 stellen. Den gibt es zwar nicht – aber bis sie das herausgefunden haben, bin ich längst über alle Berge. Oder zumindest alle Formulare.

Ich werde mich jetzt wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Tee trinken, forschen, die Absurditäten des Universums beobachten und über meine Teegedanken schreiben.


Fußnote:

[1] Habe ich jemals erwähnt, dass es unendlich viele Multiversen gibt? Nein? Gut, dann wisst ihr es jetzt. Die schiere Anzahl dieser Welten ist unvorstellbar und überwältigend. Ich werde unbedingt in einem anderen Blogeintrag von einigen dieser anderen Multiversen berichten, denn die Geschichten, die sich dort entfalten, sind jenseits aller Vorstellungskraft von Tee und Raum.

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