Eintrag Nr. 6: Wie isst du deinen Bghun?
Was passiert, wenn ein Streit über Banalitäten eskaliert? Die Walri haben es am eigenen Leib erfahren – ein harmloser Disput über die richtige Art, einen Fisch zu essen, wurde zu ihrer größten Krise. Dies ist ihre Geschichte.
Als ich die letzten Tage durch die Straßen gegangen bin – natürlich auf dem Weg zum Tee trinken –, kam ich nicht umhin, diese vielen Wahlplakate zu sehen. Hat euch schonmal jemand gesagt, wie merkwürdig diese Plakate sind? Menschen haben wirklich eine seltsame Art, ihre Anführer zu wählen - aber ich bin nicht hier zum Urteilen, sondern um Geschichten zu erzählen. Denn das Ganze erinnert mich ein wenig an die große Katastrophe von Huju, eine ziemlich spaltende Katastrophe, um genau zu sein.
Huju ist eine wunderschöne Wasserwelt, auf der es ziemlich kalt ist. Der Tee dort? Na, es ist viel mehr ein Eistee und dieser ist unglaublich kalt und unglaublich lecker. Auf dieser wässrigen Welt gibt es eine gigantische Eisscholle, auf der die Walri leben. Wer die Walri sind? Eine faszinierende Spezies – sie sehen ein wenig wie irdische Walrosse aus, haben aber Tentakel und etwas, das ich mit menschlichen Worten nicht so recht beschreiben kann. Nennen wir es der Einfachheit halber Wumptanmanti.
Aber es war dort nicht nur schön, sondern Huju war auch eine echt friedliche Welt. Die Walri waren bekannt für ihre Kunstfertigkeit. Sie konnten aus Eis alles erschaffen – von filigranen Skulpturen bis hin zu riesigen Städten und ihre Schlitten waren in der ganzen Galaxie beliebt. Doch so unerschütterlich ihr Eis war, so zerbrechlich war ihr Frieden. Denn eines Tages entbrannte ein Streit. Ein Streit, der alles verändern sollte.
Habt ihr jemals ein Walross streiten sehen? Nein? Dann könnt ihr euch nicht wirklich vorstellen, wie so ein Streit bei den Walri abging. Doch worum stritten die Walri? Richtig um Fisch! Um Fisch? Es ging um den Bghun. Groß, grün, schmeckt nach einer süßen Honigmelone. Ihr wisst schon, ein Bghun eben. Und die Frage, die ihre Welt entzweite? Wie isst man ihn richtig - genau, es ging einfach nur darum, wie man den Fisch richtig isst.
Die einen aßen ihn von links nach rechts. Die anderen von rechts nach links [1]. Eine Nichtigkeit, könnte man meinen. Aber dann kam Eisschollen Media – und damit begann das Unheil, denn dort entbrannte ein Kampf, der das Eis langsam aber sicher zum Schmelzen bringen sollte.
Ein Influencer namens Urzel Durzel verkündete, dass nur echte Walri-Patrioten den Bghun von rechts nach links essen. Alles andere sei gottlos, chaotisch und ein direkter Angriff auf die Werte der Walri. Seine Bewegung? Die Rechtsesser.
Eisfluencer luden Tutorials hoch, wie man Bghun richtig isst. Meinungsblogger empörten sich über die „Linksesser", nannten sie Verräter, Spalter, Feinde des Volkes. Auf Grunzr trendeten Hashtags wie #RechtsEssenRettetLeben, #BghunGate und #NurEchteWalriEssenRechts. Faktenchecker, die nachwiesen, dass es völlig egal war, wie herum man den Bghun aß, wurden ignoriert. Große Demonstrationen fegten durch die Eisstädte, aufgeheizt von FlipTok und BlubBook. Es war eine Spirale, die nicht mehr zu stoppen war.
Urzel Durzel, mittlerweile ein Medienmogul, scharte seine Eistechfreunde um sich und gewann die Wahl zum Eisminister. Kaum im Amt erließ er Hunderte Dekrete gegen die Linksesser. Doch diese wehrten sich, denn für ihre Art, den Bghun zu essen, würden sie alles tun, obwohl es selbst ihnen eigentlich egal war, doch es ging ums Prinzip – und der Konflikt eskalierte. Was vor ein paar Jahren noch eine Nebensächlichkeit war, zerbrach nun ganze Familien in zwei und sie standen sich feindlich gegenüber.
Die einst so friedlichen Walri befanden sich im Krieg. Doch sie kämpften nicht mit Waffen. Nein. Die Walri sind eine zivilisierte Spezies.
Sie kämpften wie jede zivilisierte Spezies mit Tanzbattles.
Ein Bürgerkrieg, ausgetragen mit atemberaubenden Choreografien. Tentakelwirbel, Pirouetten auf Eis, Sprungkombinationen, die jedem physikalischen Gesetz trotzten und über die Wumptanmanti will ich gar nicht erst anfangen zu reden - einfach wow. Der Kampf war intensiv – und gefährlich. Die Zahl der Tanzunfälle ging in die Hunderttausende. Die beiden Lager hatten sich in Nord- und Südscholle aufgeteilt.
Doch dann passierte es.
Die Eisscholle zerbrach. Die Kämpfe hatten sie zu sehr geschwächt. Nord- und Südscholle drifteten auseinander. Genau an der Tanzfront zerbrach unter den heftigen Kämpfen die Scholle und damit auch die Gesellschaft. Jeder Versuch, die Scholle irgendwie zu kitten, scheiterte an der Unfähigkeit der beiden Fraktionen, auch nur irgendwie zusammenzuarbeiten. Jeder Versuch endete mit einer heftigen Debatte und einem noch heftigeren Tanz darum, wer nun recht hat.
Und so lebten die einst vereinten Walri nun getrennt, für immer entzweit durch eine Debatte, die niemals hätte eskalieren müssen. Doch so sehr sie auch die Unterschiede betonten, so sehr waren sie doch alle gleich. Der Hass, den Urzel Durzel geschürt hatte, hielt noch lange an, obwohl sie alle eigentlich nur gerne Bghun auf Eis aßen mit einem leckeren kühlen Eistee.
Manchmal, wenn der Wind günstig steht, kann man sie noch hören – wie sie sich gegenseitig zurufen, dass die andere Seite den Bghun falsch isst. Dabei schmeckt er von beiden Seiten gleich gut. Besonders zu einer Tasse gut gekühltem Eistee.
Aber wenn man genau hinhört, dann hört man in ihren Rufen etwas anderes.
Trauer.
Die Trauer um ihre verlorene Einheit. Die Trauer um eine Welt, die durch eine Nichtigkeit gespalten wurde.
Auf meiner Welt gab es mal etwas Ähnliches. Wir stritten uns darum, ob Tee einfach nur lecker oder ziemlich lecker war. Wir tranken gemeinsam eine Tasse Tee – und beschlossen, dass Tee einfach unglaublich lecker ist.
Ich hoffe, dass der Menschheit nie das passiert, was den Walri widerfahren ist. Denn egal, welche Meinungen ihr habt – ihr habt auch vieles gemeinsam. Mehr als ihr ahnt. Am Ende wollt ihr alle glücklich sein. Und – selbst wenn ihr es noch nicht wisst – ihr wollt eigentlich nur gemeinsam eine Tasse Tee trinken und schönen Geschichten lauschen.
Lasst euch nicht von denen spalten, die es versuchen.
Und, noch wichtiger: Lasst euch den Tee nicht kaltreden - außer ihr wollt Eistee.
Fußnote
[1] Hat eigentlich niemand darüber nachgedacht, dass man ihn auch einfach von der Mitte aus essen könnte?